Olga spült im Fluss
Aktuelles,  Gesellschaft,  Haus / Garten,  Küche / Lebensmittel

Verzicht

Mit diesem Begriff wird man früher oder später in jeder öko-sozialen Bewegung konfrontiert. Für andere ist das Grund genug, sich solchen Bewegungen bloß nicht zu nähern, aus Sorge etwas verlieren zu können. Gerade jetzt nach Karneval, wo die Fastenzeit begonnen hat, taucht auch der Verzicht wieder in unseren Köpfen auf.

Tatsächlich ist das Thema Verzicht weit komplexer und vielschichtiger, als es verzichtsbesorgten Menschen scheinen mag. So gibt es auch ganz verschiedene Sichtweisen darauf. Ich habe mich viel damit auseinandergesetzt, weil ich auch immer wieder danach gefragt werde.

Zuallererst ist „Verzicht“ im Deutschen häufig negativ belegt. Ich weiß nicht, ob das noch aus Nachkriegszeiten stammt, wo der Verzicht alles andere als freiwillig war und existenzbedrohende Züge annahm. Es wird jedoch Zeit, dass wir dem Wort mindestens eine neutrale, wenn nicht sogar positive Bedeutung beimessen. Wir befinden uns nämlich nicht mehr in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wir haben alles was wir brauchen und sogar mehr davon als uns gut tut. Für uns kann Verzicht also sogar etwas positives erleichterndes sein. So ist zumindest meine Erfahrung damit.

Alles fing an, als ich aufhörte Fleisch zu essen wenn ich auswärts aß. (Man weiß ja nicht wo es herkommt und das meiste stammt ja doch aus Massentierhaltung). Während ich früher gerne mal fast panisch wurde, weil ich mich nicht zwischen den ganzen Gerichten auf der Karte entscheiden konnte, so blieben plötzlich nur noch ein oder zwei Gerichte übrig. Für mich bedeutete dieses weniger an Wahl tatsächlich deutlich weniger Qual. Ich genieße das sehr und habe meine Regel mittlerweile auf alle Tierprodukte ausgeweitet.

Verzicht im Überfluss

Tatsächlich hat Verzicht eine vollkommen neue Bedeutung bekommen. Der Begriff ist nicht mehr bedrohlich, sondern erstrebenswert. Er steht für Ideale, Charakterstärke und Selbstdisziplin, sowie für das Handeln statt nur Reden. Warum? Weil der grenzenlose Überfluss uns von hinten das Genick bricht. Wir werden immer fetter und immer fauler. Die Kleidungsindustrie hat sogar schon klamm heimlich die Messwerte hinter den Bezeichnungen S, M und L nach oben angepasst, weil es schmeichelhafter ist, wenn man M tragen kann statt L. Big mag beautiful sein, aber meistens ist es auch einfach nur ungesund und ein Ergebnis von überfordernd großem Angebot und unserem angelernten Verhalten Frust mit Konsum jeglicher Art zu begegnen. Glücklicher werden wir davon nicht, wir brauchen nur größere Kleidergrößen und größere Wohnungen. Das alles müssen wir aber auch finanzieren, weshalb wir noch mehr Arbeiten und noch billiger einkaufen. Es führt auch auch nicht dazu dass wir mehr mit den Armen teilen. Ganz im Gegenteil, lediglich unserer Verlustängste steigen. Wir haben immer mehr und schließen es immer besser ab. Das Vertrauen in unsere Mitwelt sinkt während die Ängste vor Fremden und vor Klimaflüchtlingen steigen.
Kein Grund zum Vorwurf. Wir sind alle nur Produkte unserer Gesellschaft. Es ist ein Teufelskreis, in den wir immer tiefer rein rutschen. Der bewusste Umgang mit „Weniger“ kann uns da raus helfen. Das sollte mit einer Diät aber nichts zu tun haben, denn die hält sowieso nicht lange.

Für mich ist es mittlerweile so, obwohl ich auf ganz viele Dinge verzichte, die für die meisten Menschen ganz normal sind, bin ich nicht unzufrieden oder gar in Mangel an etwas. Ganz im Gegenteil. Ich bin deutlich zufriedener, weil ich nicht mehr ständig darüber nachdenke, was ich alles haben könnte oder sollte, was andere haben, was jetzt gerade in oder hip oder cool ist, was meinem Status oder Alter entspricht. Ich weiß für mich, ich habe alles was ich brauche und bin damit zufrieden. Ob wir Verzicht als Mangel empfinden, ist also eine Frage der Einstellung. Tun wir es weil jemand es von uns erwartet oder wir selbst es von uns erwarten, dann ist es Mangel. Tun wir es freiwillig, aus freien Stücken, aus unseren Idealen heraus, dann ist es Verzicht im positivsten Sinne. Genauso wie all die Veganer, Vegetarier oder Menschen die keine Hunde essen (nicht selbstverständlich und schon gar nicht logisch).

Das einzige, bei dem ich wirklich einen Mangel empfinde ist der Zustand meiner Umgebung. Aber darüber berichte ich im nächsten Beitrag….

Kreativität durch Mangel

Und erst kürzlich ist mir klar geworden, dass ich die Nachkriegszeiten sogar manchmal heimlich beneide.  Man hat damals alles aufbewahrt und aus allem etwas gebaut und gebastelt was nützlich war, alles wertgeschätzt. Man wäre nie auf die Idee gekommen, Beutel aus Kunststoff dafür zu produzieren, um sie mit Abfall zusammen wegzuschmeißen (Seit mir das klar ist, schmeiße ich mein bisschen Müll auch immer ohne Müllbeutel in die Tonne.). Nein, ich wünsche mir natürlich keinen Krieg und auch nicht wirklich existenzielle Not, aber ich merke immer klarer, wie sehr mich dieser Status anzieht, darauf angewiesen zu sein, rein gar nichts wegzuschmeißen.
Das fängt beim Essen an. Ich liebe es den Kühlschrank bis aufs ultimo leer werden zu lassen und trotzdem noch etwas leckeres mit den kleinsten Resten zu kochen. Es ist für mich wie eine kreative Herausforderung, dessen Erfolg ich beim Essen direkt feiern kann. Auch Essensreste so zu verarbeiten, dass sie sogar noch besser schmecken als am Vortrag gehört zu meinen Leidenschaften. Und wenn ich dann noch die Pfanne auskratzen kann, bin ich selig.

Wenn Gegenstände im Haushalt kaputt gehen, dann tue ich mich richtig schwer damit sie wegzuschmeißen. Und das nicht, weil ich meinen Mülleimer versuche in ein Einmachglas zu stopfen 😛 Es tut mir einfach weh, um das Produkt, um die Rohstoffe, die dahinterstecken. Und in einer Welt ohne Überfluss, würde man sicher noch etwas daraus machen können, was nützlich ist. Ich liebe diese kreativen Improvisationen, die all das aufwerten was schon da ist. Ich möchte gar nichts neu kaufen, weil so viel schon da ist, dass nur auf einen neuen Besitzer wartet. Das zeigt sich spätestens beim nächsten Sperrmüll. Sperrmüll am Straßenrand verursacht in mir regelmäßig Wehmut, weil ich weiß, in meine Wohnung, kein einziges Möbelstück mehr reinpasst.

Deshalb träume ich von einer Werkstatt im Hinterhof, in der ich all diese guten Sachen zu tollen neuen Möbeln verarbeiten kann, einem Umsonstladen, in dem ich all das abgeben kann und wo selbst Kleinstteile gut sortiert den Besitzer wechseln können und dem Bedingungslosen Grundeinkommen, was mir all das finanziert. Aber ich schweife ab..

Es macht mir einfach eine riesige Freude aus den Sachen, die da sind, die ich finde, die ich geschenkt bekomme, die andere wegwerfen, etwas neues zu kreieren. Für mich ist es kein Verzicht auf neues zu verzichten, sondern die pure, kreative Schaffensfreude und Wertschätzung von allem was ist.

Seit ich mich regional und saisonal ernähre ist mir übrigens klar geworden, was die Fastenzeit wirklich bedeutet. Denn genau diese Zeit im späten Winter ist es, wo die Lagerware langsam knapp wird und die neue Saat noch auf sich warten lässt. Das ist die Zeit, die vor Globalisierung und Tiefkühltruhen naturgemäß zum fasten verdonnerte. Mit diesem Wissen im Hintergrund fällt es mir noch ein Stück einfacher, mich noch eine Weile auf frische Tomaten und Gurken zu freuen während ich traumhaft leckeren Kartoffelsalat mit selbst eingelegten Zucchini und Sellerieschnitzel esse. Und wer Monatelang auf Tomaten verzichtet hat, der kann die deutschen Tomaten, wenn sie reif sind, umso mehr genießen.

Was bedeutet für euch Verzicht? Wie sind eure Erfahrungen? Wie geht ihr damit um?

7 Kommentare

  • Marias Schmidt

    Interessant, dass mein Erleben beim Umstellen auf pflanzliche Ernährung sehr anders war. Ich bin in der Coronazeit vegan geworden (wenig Restaurantbesuche) und habe deshalb Kochen gelernt. Dabei habe ich sehr viele neue Lebensmittel kennengelernt (z.B. Hülsenfrüchte, die ich vorher nur sehr selten gegessen habe), neue Gerichte gelernt und vieles ausprobiert. Daher habe ich veganes Essen als Erweiterung und Bereicherung erlebt. Am Anfang haben mir auch eine vegetratische Zeit und Ersatzprodukte geholfen.
    Natürlich waren nicht alle immer (!) lecker und exakt wie gewohnt, gerade am Anfang habe ich einige Gerichte nicht gut hinbekommen – aber mit der Zeit habe ich Fleischersatz gefunden, der mir schmeckt und ich habe weit besser kochen gelernt. Es ist ein Prozess, und das ist okay so.

    Einerseits: Ist das dann überhaupt Verzicht? Andererseits: Warum glauben wir (als Gesellschaft) eigentlich, dass Verzicht und Erweiterung sich zwangsläufig ausschließen (müssen)? Welche Dinge, Möglichkeiten, Erfahrungen usw. bleiben uns verschlossen, solange wir bei erprobten Optionen bleiben – sodass wir manchmal die neuen Möglichkeiten erst finden, wenn wir auf bekannte verzichten?

    • Olga

      Danke für deinen Beitrag.
      Ich finde es so wertvoll, wenn wir uns deutlich mehr darauf konzentrieren, was wir gewinnen als was wir verlieren. Sonst bleiben wir immer nur im Mangel und nicht in der Fülle.
      Und genau das wird in deiner Erfahrung spürbar. 🙂

  • Esser

    Hallo zusammen, es ist schön zu hören, dass es Menschen gibt, die einem aus der Seele sprechen. Ich wünsche mir, das in der zurzeit schwierigen Zeit mehr Menschen Zeit zum Nachdenken fnden und die heutige Gesellschaft mit ihrem Lebensstil in Frage stellen und auch einen Beitrag zur Veränderung leisten wollen. Ich lebe seit zwei Jahren fast plastikfrei, doch ist es imner wieder eine Herausforderung, der ich mich immer wieder stelle, so wird es auch nicht langweilig. In diesem Sinne noch einen schönen Sonntag. Petra

  • Chris

    Ich bin immerwieder erschrocken über unsere Wegwerfgesellschaft und kenne noch die Generation,die den Krieg miterlebt hat( durch meinen Vater.) Er wusste aus allen alten Dingen etwas Neues zu erstellen und reparierte, was möglich war. Wir leben in einer „erschreckenden „Gesellschaft“ was unser Konsumverhalten angeht. Ich persönlich kaufe seit 20 Jahren secondhand Kleidung und merke auch, dass die Qualität im Gegensatz zu früher wesentlich schlechter ist.
    Aufgrund unserer verschwenderischen Lebensweise ist es kein Verzicht z. B. auf neue Kleidung oder Fleisch zu verzichten . Wir schützen u. a. damit unsere Lebensgrundlage. Und das sollte es uns Wert sein. Das ist „jammern auf hohem Niveau“.
    Meine Bekannten sehen einen Verzicht in Bezug auf Fleisch. So nach dem Motto: „Trifft mich ja nicht, hauptsache das Fleisch ist billig, ich kann es ja eh alleine nicht ändern“.Es hat keine Konsequenzen.
    Ich mache mir auch immerwieder bewusst, was wir haben, wie reich wir sind. Man muss nicht immer das neueste Handy haben. Letztens habe ich in einer Reportage gesehen, dass die Deutschen alle 2 Jahre ein neues smartphone besitzen. Halloooo??? Wozu??? “ Das ist krank“, “ nur um dem Druck der Gesellschaft gerecht zu werden“? Oder um up to date zu sein?
    Verzicht macht zufrieden!!! Z. B. in unverpackt Läden gehen und genießen wie viel Plastik man vermieden hat. Ein Beispiel! Es gibt sooo viele…

    • Olga

      gemein wird es dann, wenn die Software und Updates der Smartphone so gestickt sind, dass sie nach wenigen Jahren nicht mehr richtig funktionieren.
      Aber auch dafür gibt es (leider) immer genügend (neue) gebrauchte Modelle auf dem Markt, die man sich besser besorgen kann als ein ganz neues.

  • Maria Widerstand

    Hallo Olga!

    Ich musste sehr schmunzeln bei deinem Artikel, denn mir geht es wirklich sehr ähnlich vor allem bei der Sache mit dem Essen und der Kreativität, aber vor allem auch beim Traum von deiner Werkstatt im Hinterhof samt Umsonstladen samt bedingungslosem Grundeinkommen…

    Seitdem ich darauf „verzichte“ Neues zu kaufen, ist mein Leben viel spannender und bunter geworden. Es macht so viel mehr Spaß auf etwas zu warten und es dann irgendwann doch (gebraucht) zu finden oder kreative alternative Lösungen zu suchen.

    Dieser Verzicht ist wirklich kein Verzicht sondern eine Bereicherung!

    lg, Maria

  • Fjonka

    Dein Beginn ist nach wie vor meine große Baustelle 🙂 :
    Beim ausgehen esse ich viel zu oft mit schlechtem Gewissen Fleisch, weil die zwei fleischlosen Gerichte entweder langweilig sind (Gemüseauflauf krieg selbst ich zu Hause hin; besser sogar) oder mich nicht anlachen. Und weil die Fleischgerichte oft wirklich lecker sind UND ich die zuhause eben NICHT so gut hinkriege, selbst mit dem besseren Bio-Fleisch (denn daheim gibt es fast ausschließlich „bio“)
    KONSUMverzicht dagegen ist für mich null Problem. Ich schlafe einfach eine Nacht drüber, und schon ist das, was ich am Tag zuvor haben zu müssen meinte schon nicht mehr so wichtig.
    Modische Klamotten hatte ich noch nie, weil ich immer schon Alles aufgetragen habe, was ich hatte und mochte und weil ich ungern einkaufen gehe. Und reisen mag ich eh nicht gern, und wenn, dann nur per Bahn.
    So gehen viele Verzichtsdebatten total an meiner Lebenswirklichkeit vorbei.
    Was eine große Baustelle ist und worauf ich nicht verzichten mag und werde: das große Altbau-Haus, das aufgrund seiner Lage auch noch für jedeN BewohnerIn ein Auto unverzichtbar macht.
    Auf längere Sicht möchten wir zwar „kleiner“ und „näher bei“, es sieht aber derzeit nicht so aus, als ließe sich das verwirklichen (explodierende Hauspreise, wenig kleine Wohnflächen, dafür zu kleine Grundstücke)
    Worauf verzichte ich dann überhaupt?
    Auf Komfort und „eben mal“.
    Teller mitzunehmen, wenn man Eis kaufen geht; lieber nichts zu essen, wenns im vorbeigehen nur Verpacktes gibt; nervige lange Recherchen, um zB eine Jeans aus bio UND ohne Plastikanteil (verdammtes Elasthan!!!!) zu kriegen, wenn man denn mal eine braucht, oder eine Lampe so zu ersetzen, daß man die Leuchtmittel austauschen kann statt sie wegzuwerfen, wenn die festeingebauten LED kaputt sind – sowas nervt und ist ein Verzicht auch auf Leichtigkeit.
    Muß aber sein, finde ich.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert